Muttertag ohne Mutter.

by gruenartig

Vielleicht wird das hier mein persönlichster Bericht. Wahrscheinlich passt er gar nicht zu meiner Zielgruppe. Sicherlich erfahren meine Leser jetzt mehr von mir, als ich eigentlich je schreiben wollte. Und in diesem Moment zweifle ich deshalb immer noch, ob ich den “Veröffentlichen”-Knopf wirklich klicken soll. In diesen Tagen, an denen sich alle Blogger nur mit dem einen Thema beschäftigen: Muttertag.

Ich zucke nämlich zusammen, wenn ich das Wort lese oder höre. Nicht offensichtlich, aber irgendwie schon innerlich. Weil es mich an schlimme Tage in meinem Leben erinnert. An einen Verlust und eine riesige Lücke, die meine Mutter hinterlassen hat. Und jetzt in dieser Woche ist das Internet voll mit Bastel-Anleitungen, Geschenk-Ideen und Ausflug-Tipps für alle glücklichen Familien. Und ich gönne es ihnen von ganzem Herzen. Wirklich.

Deswegen wäre es nur allzu passend, eine nachhaltige, faire Shopping-Liste zu erstellen. Oder ein veganes Tortenrezept. Meine Mutter mochte Eierlikör. Meine Leser wissen ja auch nicht, dass ich diese Dinge nie wieder verschenke. Und andersherum: Soll ein Blog – MEIN Blog – so intim werden, dass ich die Wahrheit schreibe? Der traurige Fakt ist, dass mir bei normalen Muttertags-Posts das Herz bluten würde. Ich kann das nicht schreiben, ich könnte es nur ignorieren. Aber vielleicht gibt es da draußen auch Leser, denen es so geht wie mir. Weil sie aus den verschiedensten Gründen den Muttertag nicht mit ihrer Mutter verbringen können. Für Euch sind diese Zeilen.

Meine Mutter lebt nicht mehr. Mein Vater auch nicht und das allein wäre eigentlich schon schlimm genug. Manchmal trifft einen halt das Schicksal und jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen. Aber ich bin nicht einmal 30.

Ich habe meine zwei Schwestern und es gibt keinen Tag, an dem ich für diese beiden wundervollen Geschöpfe nicht wahnsinnig dankbar wäre. Unsere Konsumgesellschaft hat den Tag der Geschwister noch nicht für sich entdeckt (er findet jährlich am 10. April statt) und das ist auch gut so. Wir brauchen kein Geschenk, um uns bewusst zu werden, dass wir ohne einander verloren wären. So sollte es uns auch mit Müttern gehen. Und doch höre ich andauernd genervtes Gemurmel meiner Freunde: “Och ne, ich muss meine Mutter noch anrufen / ihr Blumen besorgen / am Sonntag den Tag mit ihr verbringen.” All jenen gebe ich den gut gemeinten Rat: Es wird der Tag kommen, an dem ihr für eine Stunde mit eurer Mutter ohne zu Zögern alles Geld der Welt bezahlen würdet. Ich täte es jedenfalls. Denn ich hatte das Glück, eine liebevolle, großzügige und über alle Maßen herzliche Mutter zu bekommen. Aber nur für kurze Zeit. Aus diesem Grund würde ich wohl fast alles tun, wenn ich sie dafür nur irgendwie zurück bekäme. Und sei es nur für einen Nachmittag.

 

Aber das Leben ist kein Wunschkonzert.

 

Meine Schwestern und ich bekommen den Alltag trotzdem gut gemeistert. Jeder auf seine Weise und gemeinsam in schwierigen Zeiten. Wir haben ja auch keine andere Wahl. Und im Vergleich zu Millionen anderen Menschen auf diesem Planeten geht es uns auch unglaublich gut. Dennoch betretenes Schweigen, wenn ich auf die Frage nach meinen Plänen zum Muttertag antworten muss “Meine Mutter lebt leider nicht mehr”.

 

 

Den Muttertag feiern. Muss das sein?

 

Wenn du eine Mutter hast, die du liebst, dann verbringe verdammt noch einmal diesen Tag mit ihr! Vielleicht denkst du, dass dieser “Konsum-Scheiß” nicht unterstützenswert ist. Wahrscheinlich vermutest du, dass es deiner Mutter gar nicht wichtig ist. Sicherlich hast du auch noch andere Sachen zu erledigen. Überhaupt: Du brauchst keinen Tag, der dir vorschreibt, dich bei jemandem zu Bedanken. Dafür gibt es 364 weitere Tage im Jahr.

 

Sei mal ehrlich zu dir selbst – gibt es die wirklich?

 

Du wirst dir keinen Zacken aus der Krone brechen, wenn du einen Nachmittag lang Zeit mit Mutti verbringst. Denn sie liebt dich. Sie hat dich 9 Monate im Bauch getragen oder sich noch länger mit einer Adoptionsbehörde herumgeschlagen. Nur um dich zu bekommen. Sie hat tausende Windeln gewechselt und ist nachts aufgestanden, um dich zu trösten. Sie hat dir Kotze aus dem Gesicht gewischt und dich zum Fußballtraining gefahren. Und sie kocht dir immer noch dein Lieblingsessen, wenn du zu Besuch bist. Du bist jetzt alt genug, um das Wertschätzen zu können. Nicht mit einem selbstgemalten Bild oder dem Gutschein für “10x Geschirrspüler ausräumen”. Sondern mit ehrlichem Interesse – weil dir gegenüber ein echter Mensch sitzt. Einer der dir sein halbes Leben und eine Menge Geld geopfert hat. Freiwillig – deine Eltern hätten genauso gut in Reisen investieren können. So wie du es jetzt vielleicht lieber tust. Schlechtes Gewissen? Wenn du nun spontan doch Lust bekommst, etwas Schönes zu verschenken: Johanna von “Offbeat Blossom” hat sich auf ihre stets wundervolle Weise mit nachhaltigen Muttertags-Geschenken beschäftigt und gibt damit einige sinnvolle Anregungen.

 

 

Immerhin muss ich kein Geschenk besorgen…

 

Vielleicht hast du aber, genau wie ich, keine Mutter mehr zum Beschenken und Knuddeln. Während deine Freunde einen Strauß Blumen besorgen, legst du eine Rose auf ihr Grab. Ich werfe sie vielleicht in die Elbe und lasse sie von dort in das Meer treiben. Du kannst jetzt an diesem Tag tun und lassen was du möchtest. Ignoranz wäre am Einfachsten und auch völlig ok. Ich empfehle dir trotzdem, einfach mal die Trauer zuzulassen. Vielleicht gerade wenn Du im Alltag dazu neigst, den Schmerz zu verdrängen. Dann nimm dir die Auszeit vom Alltag und erinnere dich an die schönen Zeiten. Vielleicht bist du sogar schon selbst Mama und bekommst jetzt einen Sabberkuss mitsamt selbstgepflückter Blume zum Frühstück. Wir können unser Leben genießen und trotzdem wehmütig auf das zurückblicken, was wir hatten.

 

Ein Besuch auf dem Friedhof und der Blick ins Fotoalbum müssen keine Bürde sein.

 

Es ist schön und traurig, sich an gemeinsame Erlebnisse zurück zu erinnern. Und es tut gut, alte Traditionen trotzdem weiterzuführen. Vielleicht backe ich deshalb einfach eine vegane Eierlikör-Torte. Und denke beim Essen daran, was meine Mutter wohl dazu sagen würde. Sie hat mich schließlich nie als Veganerin kennengelernt und das ist vielleicht auch besser so 😉

 

 

Nicht alle Mütter verdienen ihren Titel

 

Das kann man ruhig einmal so aussprechen, denn in dieser Welt passieren furchtbare Dinge. Wenn du keinen Kontakt mehr zu deiner Mutter hast, weil etwas Schreckliches und Unverzeihliches passiert ist, dann wünsche ich dir dafür inneren Frieden. Nicht alle Wunden kann man heilen und trotzdem mit einer robusten Narbe leben. Und wenn du schlimm verletzt wurdest, dann ist Abkapselung manchmal die einzig richtige Entscheidung. Nur leicht ist sie nicht. Ich maße mir nicht an, Sprüche zu finden, wie “Versucht doch, euch noch einmal anzunähern”. Wäre es so einfach, hättet ihr es bestimmt schon versucht. Trotzdem: Falls euch nur Stolz, Scham und Wut im Wege stehen, denkt daran, dass es irgendwann zu spät sein wird.

 

Unausgesprochenes schmerzt meist mehr, als offene und klärende Worte

 

Und sei es nur, um selbst damit abschließen zu können. So oder so hoffe ich, dass sich andere Menschen in deinem Leben gesammelt haben, die dir ein Zuhause geben und für dich da sind. Nicht nur am Muttertag.

 

 

Man sagt, nichts könnte eine Mutter ersetzen.

 

Und vielleicht stimmt das auch. Ja, ich denke täglich an meine Mutter. Das ist hart. Aber ich habe größere Angst vor dem Tag, an dem ich es nicht mehr tue. Wenn ich mich nicht mehr an ihren Geruch erinnere oder aus Versehen selbst eine ihrer abgedroschenen Redewendungen verwende. Wenn ich mir nicht mehr ständig die Frage stelle, was sie zu diesem oder jenem sagen würde. Und ich es nicht mehr schade fände, dass ich mir ein bestimmtes Rezept von ihr nie aufgeschrieben habe. All diese Gedanken sind es, die mich beim Wort Muttertag zusammenzucken lassen. Und ich glaube das wird auch eine Weile so bleiben. Hoffentlich.

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6 comments

Jenni 19. Mai 2016 - 20:19

Liebe Jassi!

Oje, ich hatte ein bisschen Wasser in den Augen, als ich das gelesen habe. Das ist ein trauriges Schicksal und ich bin ein bisschen überfragt, welche Reaktion nun die richtige ist. Ich empfinde auf der einen Seite Mitleid, obwohl ich glaube, dass du es vielleicht nicht möchtest und/oder nicht brauchst, und auf der anderen Seite bewundere ich deinen Mut, das hier so öffentlich und ehrlich niederzuschreiben. Dazu bedarf es einiger Kraft und es zeugt davon, dass du sehr reflektiert und bewusst mit dieser Sache umgehst.

Ich wünsche dir, dass die Wunde nicht vollkommen verheilt – denn das käme einer Tötung gleich -, sondern aufhört, so stark wehzutun und vielleicht manchmal nur ein kleines bisschen ziept.

Liebe Grüße
Jenni

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gruenartig 20. Mai 2016 - 10:34

Hallo liebe Jenni,
danke für deine lieben Worte. Ich denke, es gibt nicht die eine “richtige” Reaktion. Viele, viele Menschen reagieren unbeholfen und betreten, wenn sie von meinem Schicksal erfahren. Das ist nicht schlimm. Weil der Tod immer noch ein Tabuthema ist und das Mitleid dann gleich mitschwingt. Aber ich finde das macht einen guten Menschen aus: Mitgefühl. (Auch wenn du ganz Recht hast, denn ich brauche es eigentlich nicht ;)). Und die Reaktionen, die ich zu diesem Artikel bekommen habe, waren alle so herzlich, dass ich über die Veröffentlichung nicht mehr zweifle. Vielleicht hat der ein oder andere hier etwas wichtiges mitgenommen: Dankbarkeit, für das was man hat.
Liebe Grüße,
Jassi

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Hanna 12. Mai 2019 - 10:59

Danke. Mir hilft das grade sehr. Heute ist nicht nur Muttertag, sondern auch Mamas fünfter Todestag.

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gruenartig 13. Mai 2019 - 13:26

Liebe Hanna,
danke für deine Worte – ich wünsche Dir viel Kraft!
Liebe Grüße
Jassi

Reply
Sarah 7. Mai 2021 - 22:40

Liebe Jassi,
auch wenn dein Post schon ein paar Jahre alt ist und ich erst jetzt zufällig über ihn gestolpert bin, weil ich nach Worten gesucht habe sie ausdrücken was ich fühle. Und mir fließen die Tränen nur so über das Gesicht.
Auch ich bin Mitte 30, habe meinen Vater mit 20 verloren und meine Mama 5 Jahre später, ich fühlte und fühle es manchmal noch immer so als ob ich meinen sicheren Hafen verloren habe. Sowie auch bei dir, habe ich drei Schwestern und wären sie nicht, dann wüsste ich nicht was ich getan hätte. Vor wenigen Wochen ist meine Tante auch viel zu früh verstorben, sie war von Gedanken an, wie eine zweite Mama für mich.
Diese Verluste stürzen mich zeitweise in ein großes Loch von Traurigkeit. Die Momente der Dankbarkeit und Erinnerung überwiegen mittlerweile, aber an solchen bevorstehenden Tagen wie Muttertag, wird die Lücke einfach nochmal enorm bewusst.
Das Drumherum mitzubekommen und selbst nur zum Grab zu gehen, macht einen traurig, gerade dann wenn andere nur „meckern“ über den Muttertag, ihre Mutter, den Aufwand, etc.

Fühl dich gedrückt
Sarah

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Stefanie Panzenböck 14. April 2023 - 20:37

Liebe Jassi,

hab gerade irgendwo das Wort Muttertag gelesen und da ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass dies der erste Muttertag ohne meine Mama werden wird Mama ist im September vergangenen Jahres verstorben.
Nun bin ich auf Deine Seite und Deinen damaligen Post gestoßen. Erstmal Hut ab, dass Du, obwohl Du selbst nicht ganz überzeugt warst, dann doch den Mut aufgebracht hast und Deine Gefühle mit uns allen geteilt hast. Deine Zeilen sind sehr ehrlich und ich geb Dir vollkommen Recht. Leider sieht man viele Dinge solange man sie hat als ,“selbstverständlich“ an. Und man verdrängt dass sich die Welt jede Sekunde ändern könnte. Man sollte echt jeden Moment mit seiner Mama und seinen Liebsten genießen weil man nie weiß wie viele Momente man noch gemeinsam erleben darf.

Danke für Deinen Denkanstoß und Danke dass Du zeigst, dass es Anderen auch so geht und man mit der Trauer nicht alleine ist.

Wünsche Dir alles Liebe.

Liebe Grüße
Stefanie

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