Dimensionen der Nachhaltigkeit. Oder: Das Kaffeebecher-Paradoxon

by gruenartig

Im Oktober bin ich von Re:Blog zu einem Workshop mit dem Thema Nachhaltigkeit eingeladen. Im Vorfeld durften sich die Teilnehmer Gedanken dazu machen und einen Beitrag verfassen. Natürlich ist das genau das richtige Thema für mich – vor allem da ich gerade über ein sehr merkwürdiges Kaffeebecher-Phänomen gestolpert bin…

Nachhaltigkeit. Ein Modewort, das nicht nur als Rettungsschirm für unseren Planeten, sondern auch als Marketingmasche von Großkonzernen herhalten muss. Ein Unternehmen, eine Ernährungsweise, ein Herstellungsprozess – alles kann nachhaltig sein, solange es in irgendeiner Weise die natürlichen Ressourcen unseres Planeten schützt. Es gibt keine einheitliche Definition oder Messbarkeit, sodass die Interpretation des Wortes uns Konsumenten selbst überlassen bleibt. Doch ist ein Produkt, dessen Herstellungsprozess weniger Erdöl benötigt, wirklich nachhaltig, wenn es im Gegenzug den Regenwald abholzt? Oder andersum? Eine Anleitung zum Nachdenken.

Alles begann mit der Planung einer runden Geburtstagsfeier. Nachmittags sollte es Kaffee und Kuchen für rund 120 Personen geben. Kuchen ist kein Problem, der geht auf die Hand. Nun habe ich aber keine 120 Kaffeebecher in meinem Küchenschrank rumstehen. Und Plastikbecher kommen nicht in Frage. Wegen Plastik. Und wegen Müll. Und wegen Style. Doch es gibt inzwischen kompostierbares Einweggeschirr aus nachwachsenden Rohstoffen. Wäre das nicht eine Alternative? Ist doch nachhaltiger, oder?

Nein, ist es nicht.

Das Problem liegt im Herstellungsprozess. Der hohe CO2-Ausstoß in der Produktion ist nur ein negativer Faktor, der Raubbau, der für den Anbau der Rohstoffe betrieben wird, sogar ein viel drastischerer. Auch ist die Kompostierbarkeit scheinbar reine Augenwischerei – die Becher werden in den Sortieranlagen als „Störstoffe“ aussortiert und landen in der Verbrennungsanlage.

Ist der Griff zum Porzellanbecher wirklich nachhaltig?

Ist der Griff zum Porzellanbecher wirklich nachhaltig?

Doch was ist dann wirklich nachhaltig?

Ich könnte euch jetzt etwas von dem Nachhaltigkeitsdreieck erzählen. Von ökonomischer Verantwortung, sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Ressourcenschonung. Doch das sind alles Aspekte, die Verantwortung auf eine übergeordnete Ebene verlagern. Eine Ebene, die wir nicht kontrollieren und auch kaum beeinflussen können. Doch wir müssen uns als Konsumenten selbst in der Verantwortung fühlen und etwas verändern, indem wir unseren Kopf einschalten und gewisse Gewohnheiten hinterfragen:

  1. Seit wann ist es mir wichtig, Dinge zu besitzen, die ich nur einmal brauche?
  2. Wieso werfe ich Dinge weg, anstatt sie zu reparieren?
  3. Warum sitzt das Geld bei kleinen Anschaffungen ohne bleibenden Wert so locker?

Wenn wir diese Dinge ehrlich beantworten, können wir sie leichter verändern. Indem wir uns Winterjacken kaufen, die mehrere Jahre halten. So können wir die aufgewendete Energie auf einen langen Lebenszyklus aufteilen. Indem wir keine Einwegprodukte kaufen, selbst wenn sie aus Recycling Material hergestellt sind. Und indem wir uns manche Dinge auch einfach bei Freunden und Familien leihen, weil wir sie nur einmal brauchen.

Für eine Feier kann man sich lieber ein paar Tassen bei Freunden leihen.

Für eine Feier kann man sich lieber ein paar Tassen bei Freunden leihen.

 

Zum Beispiel 120 Porzellanbecher.

Das verbessert dann nämlich auch ihre Ökobilanz. Denn selbst Keramikbecher sind nicht so unschuldig, wie sie aussehen. Sie benötigen 500 bis 3.000 Nutzungsvorgänge, bis sich ihre Umweltbilanz positiv gegenüber von Einwegprodukten auszahlt.

Je seltener sie gespült werden, desto besser.

Das zumindest ist das Lieblingsargument meines Freundes, wenn es um die Küchenarbeit bei uns zuhause geht. Er ist inzwischen ein großer Fan von Nachhaltigkeit.

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3 comments

re:THINK – Zeit, über eine bessere Zukunft nachzudenken | re:BLOG 14. Oktober 2016 - 8:39

[…] Bei Jasmin begann das Umdenken mit der Planung einer runden Geburtstagsfeier. Auf „Grünartig“ schreibt sie, dass es nachmittags Kaffee und Kuchen für rund 120 Personen geben sollte und sie sich die Frage gestellt hat, woher umweltfreundliche Becher zu beschaffen seien. Gibt es da nicht eine kompostierbare, ökologisch einwandfreie Variante? Denkste … Hier weiterlesen … […]

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Anja 1. Oktober 2017 - 18:37

Hallo Jassi, schöner Artikel! Gerade über das Kaffeebecherthema mache ich mir auch oft Gedanken! Meine spontane Lösung war: Jeden Gast bitten, eine Tasse mitzubringen 😉
In der Grundschule meiner Tochter wird es seit Jahren so gehandhabt, dass die Besucher des Jährlichen Sommerfestes ihr Geschirr mitbringen sollen. Das finde ich total gut.
Liebe Grüße, Anja

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gruenartig 2. Oktober 2017 - 16:28

Hallo Anja,
danke für deinen netten Kommentar! Super, dass es in der Grundschule deiner Tochter so gut klappt. Ich werde ja meistens schräg angeschaut, wenn ich bei uns im Verein so etwas vorschlage 😉 Aber es bessert sich. 🙂
Liebe Grüße
Jassi

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