Ökostrom: Overnewsed but underinformed?

by gruenartig
Windenergie

Was haben Versicherungen und Energieunternehmen gemeinsam? Die Verbraucher sind maximal verunsichert, kommen aber nicht drum herum, einen Vertrag abzuschließen. Trotz umfassender Recherche bleibt das chronische Gefühl, den falschen Tarif gewählt zu haben. Vor allem, wenn man sich mit grünen Alternativen beschäftigt. Bei der google-Suche nach Ökostrom erhielt ich 1.780.000 Ergebnisse.  Davon verlinken die ersten fünf Seiten fast ausschließlich auf unterschiedlichste Anbieter – aber wirklich gute, unabhängige Informationen bekommt man da nicht. Auf dem Heldenmarkt in Hamburg bin ich glücklicherweise mit dem Ansprechpartner eines Energieunternehmen ins Gespräch gekommen, der mir ausnahmsweise mal nichts verkaufen wollte. 😉 Stattdessen hat er mir ein wenig über die Hintergründe des Energiemarktes berichtet. Das Gespräch habe ich zum Anlass genommen, mich anschließend richtig tief in das Thema einzubuddeln – und den Anbieter zu wechseln.

Was ist schlecht am “normalen” Strom?

Unter normalem Strom verstehen wir vor allem Atomenergie, Kohle und andere fossile Brennstoffe. Dass Atomkraftwerke gefährlich und umweltschädlich sind, wissen wir spätestens nach den Katastrophen in Fukushima und Tschernobyl. Atomkraftwerke sind ein Risiko im Hinblick auf interne Fehlentscheidungen (menschliches Versagen) und externe Einflüsse, wie Naturkatastrophen. Es gibt keine Lösung bei der Entsorgung des radioaktiven Atommülls, Sicherheitslücken bei veralteten Anlagen und unnötige staatliche Subventionen, für die wir als Steuerzahler aufkommen müssen. So “billig”, wie man es vermuten würde, ist Atomstrom damit wirklich nicht: Wenn man die Subventionen abziehen würde, wären erneuerbare Energien plötzlich sogar konkurrenzfähig.

Kohle, Erdgas und Erdöl sind bei der Energieerzeugung zwar vergleichsweise etwas “sicherer”, allerdings nimmt auch bei ihnen die Natur wesentlichen Schaden an. Die Ausbeutung an der Umwelt reicht von Waldrodungen über verseuchte Küstenregionen bis hin zu maroden Pipelines, die wertvolle Ackerflächen für immer zerstören. Außerdem entstehen bei der Energiegewinnung schädliche Emissionen, die unsere Luft verschmutzen.

Noch dazu sind die fossilen Brennstoffe endlich und nicht erneuerbar. Das heißt: Jeder Liter Erdöl, der verbraucht wird, ist weg – für immer. Bei einem steigenden Energiebedarf ist es nur eine Frage der Zeit, bis die letzten Vorräte aufgebraucht sind. Aktuellen Berechnungen zufolge, würden die Vorräte an Erdöl und Erdgas schon bei gleichbleibendem Energiebedarf nur noch 43 beziehungsweise 66 Jahre reichen. Sehr viel wichtiger ist allerdings: Wenn wir diese Reserven aufbrauchen, richten wir einen irreversiblen Schaden an, der für das Klima nicht mehr verkraftbar ist. Klimaexperten gehen davon aus, dass nur noch maximal ein Viertel der bekannten Reserven genutzt werden dürfen.

 

Welche Öko-Alternativen gibt es?

Im Bereich der erneuerbaren Energien zählen wir vor allem Wasserkraftwerke, Sonnen- und Windenergie, sowie Biokraftstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen (z.B. Ölpflanzen und Getreide). Das Prinzip liegt darin, bestehende Energie (z.B. die Einstrahlung der Sonne) in elektrische Energie umzuwandeln. Bei den meisten Ökostrom-Lieferanten in Deutschland wird der benötigte Strom zu mehr als 90% aus Wasserkraftwerken aus Norwegen eingespeist. Bei der in Deutschland produzierten Energie liegen Windkrafträder weit vorne.

Die Produktion von Öko-Strom birgt allerdings einige Herausforderungen. Zum Beispiel ist die Herstellung der Anlagen sehr aufwendig und teuer. Außerdem gibt es eine natürliche Abhängigkeit, die wir nur schwer beeinflussen können: Wenn keine Sonne scheint, z.B. nachts, wird auch keine Energie erzeugt. Dadurch kommt es zu Ungleichgewichten, denn die Energie kann schwierig zwischengespeichert werden. Die Tesla-Batterie für Solarstrom kann so aktuell nur den Strombedarf eines Haushaltes für einen Tag abspeichern – eine vollkommen autarke Solarstromversorgung privater Haushalte wäre damit, zumindest in Deutschland, leider noch undenkbar.

So führen denn auch viele Vertreter der Atomenergie an, dass zum aktuellen Stand keine vollflächige Versorgung der Bevölkerung durch regenerative Energien sichergestellt werden kann und die Nutzung der bestehenden Alt-Anlagen damit unumgänglich sei. Teilweise ist das wahr, es rechtfertigt allerdings in keinster Weise die mangelnde Investitionsbereitschaft, um diesen Fakt schnellstmöglich zu beseitigen.

 

Unsinnige Gesetze und Regularien

EEG Umlage

(EEG = Gesetz für den Ausbau eneuerbarer Energien)

Bei der EEG Umlage geht es darum, die Einspeisung von regenerativen Energien zu bevorzugen und den Erzeugern einen stabilen Preis zu gewähren. Dafür wird eine Umlage gefordert, die auf allen Schultern (Verbraucher und Industrie) verteilt werden soll. Allerdings lassen sich immer mehr Unternehmen von der Umlage befreien, z.B. weil sie sonst nicht konkurrenzfähig bleiben können. Damit möchte die Bundesregierung verhindern, dass zahlreiche Unternehmen ins Ausland abwandern. Diesen Umstand konnten viele Unternehmen zu ihrem Gunsten ausnutzen: Selbst Unternehmen wie Golfplätze ließen sich befreien, obwohl es hier keinen Grund zur Annahme gibt, dass sie ihren Standort ins Ausland verlagern würden. Dies hat natürlich zur Folge, dass die Privathaushalte mehr zahlen müssen.

 

EU Emissionshandel

Die EU legt einen maximalen Wert fest, der jährlich an Emissionen ausgestoßen werden darf. Jedes Unternehmen erhält einen Anteil daran, die sogenannten “Caps”. Bleibt ein Unternehmen unter seinem Budget, kann es die übrigen Caps auf dem Markt verkaufen. Verschmutzt ein Unternehmen allerdings mehr als vorhergesehen, dann kann es sich die notwendigen Rechte dafür einfach erkaufen. Dadurch bleibt die Gesamtrechnung gleich Null. Und rein marktwirtschaftlich ergibt sich dadurch folgendes Problem: “Der Zuwachs an grünem Strom dämpfe die Nachfrage nach Verschmutzungsrechten und damit auch deren Preis. Für Stromproduzenten ergäben sich in der Folge weniger Anreize, über Techniken der CO2-Vermeidung nachzudenken.”. Denn die Investitionen die nötig wären, um die Emissionen zu reduzieren, sind deutlich teurer, als der Zukauf von Emissionsrechten. Außerdem wird jährlich die Gesamtemissionsmenge nur um 1,74% gesenkt – dies erscheint im Hinblick auf unser Klima-Problem marginal.

 

Wolf im Schafspelz?

Angebote für Ökostrom gibt es inzwischen wie Sand am Meer. Leider ist es super schwer nachzuvollziehen, wie die Unternehmensstruktur tatsächlich ist. Wer sich vorher nicht informiert, bezieht seinen Strom womöglich aus Anlagen, die eigentlich Atomkonzernen gehören. Oder aber von Unternehmen, die keine neuen, effizienten Kraftwerke benutzen und damit ebenso der Umwelt schaden.

Öko Test hat sich mit dem Thema beschäftigt und in einem Sonderheft zum Thema Energie die verschiedenen Öko-Stromtarife der EcoTopTen durchleuchtet. Dabei fällt auf, dass sogar nur 16 der “Top” Anbieter unabhängig in ihrem Firmenverbund und ihre Stromquelle zu 100% aus erneuerbaren Energien beziehen.

Überprüft mal euren aktuellen Stromanbieter – ihr werdet vielleicht überrascht sein und feststellen, dass dieser mit einem Atomstrom-Konzern verknüpft ist. Bei mir war es zumindest der Fall, weshalb ich dringend eine Alternative brauchte.

+++ Update für Veganer+++ Zusätzlich sollte man auch den Einfluss auf die Tierwelt betrachten: In Windrädern sterben Vögel, Offshore-Anlagen schaden den Meeresbewohnern und zahlreiche Fische sowie andere Flusstiere verenden in Turbinen für Wasserkraft. Bei der Energiegewinnung mittels Biomasse werden zudem Abfälle aus Massentierhaltung verwendet. Eine echte vegane Option stellt daher aktuell nur Solarenergie dar.

 

 

Ich wechsle zu…

Ich möchte hier keine Werbung machen und irgendeinen Ökostrom-Anbieter bevorzugen. Tatsächlich glaube ich, dass es einige gute Alternativen gibt, die nur leider insgesamt wenig bekannt sind. Zumindest erscheinen viele der Testsieger aus dem Öko Test Magazin nicht auf den ersten Seiten der Google-Suche. Dies liegt zum Teil daran, dass die Anbieter aus sogenannten “Bürgerinitiativen” entstanden. Also besorgte Gemeinden, die sich von den Konzessionsverträgen der großen Konzerne gelöst haben und neue Wege in die Unabhängigkeit fanden. Das wohl bekannteste Beispiel hierfür sind die Elektrizitätswerke Schönau (kurz: EWS). Wer sich für das Thema interessiert, der sollte sich die nachfolgende Reportage unbedingt einmal ansehen:

Die EWS hat mit ihrem selbstlosen Vorbild einen Grundstein für eine tolle Bewegung geschaffen. Ein Energieunternehmen, dass seine Kunden darin unterstützt, Strom zu sparen, ist ja eigentlich ein Paradox in sich. So etwas kann nur entstehen, wenn die Geschäftsführung ihre Ideale lebt und nicht auf Gewinnmaximierung abzielt.

Weitere nennenswerte Anbieter neben der EWS im Bereich der EcoTopTen sind:

  1. Greenpeace Energy : Tarif Ökostrom für Privatkunden
  2. Naturstrom : Tarif Naturstrom
  3. BayWa : Tarif Ökostrom 12

Als zusätzlichen Tipp speziell für Veganer möchte ich noch VegaWatt nennen, die sich auf Ökostrom frei von Tierleid spezialisiert haben.

Zusammenfassend kann ich inzwischen von mir behaupten, dass ich mich in einem Stromtarif eines Unternehmens mit dem Hintergrund einer Bürgerinitiative nicht mehr verunsichert fühle. Es ist ein beruhigendes Gefühl zu wissen, dass die Investitionen in erneuerbare Energien dort nicht nur als “Marketingmasche” gesehen wird, sondern als Notwendigkeit für eine umweltfreundlichere Zukunft.

Somit ist die Wahl des Energieanbieters nicht mehr nur eine Frage des Geldes, sondern für mich auch ein politisch und soziales Statement.

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1 comment

Blogaround April/Mai mit leckerem Frühlingsgemüse | HOLZ & HEFE 15. Mai 2017 - 6:18

[…] interessanten Artikel zum Thema Ökostrom: Overnewsed but underinformed? mit guten Hintergrundinformationen hat Jassi von grünartig […]

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